Tempelaufbau
des Künstlers Nikolai Taidakov
Ein vom Meister vollendetes Kunstwerk, die Grenzen des Ateliers
verlassend, setzt seine Existenz unter den Bedingungen neuer Koordinaten fort.
Diese Koordinaten, welche das weitere Schicksal und Leben des Kunstwerkes
bestimmen, liegen bereits im Raum der Zuschauerbewertungen, des Verständnisses
und des Mitlgefühls gegenüber dem Meister und seiner Arbeit.
Es gibt dem Betrachter völlig passende Meister. Sie entlehnen ihre schöpferische Manier
erprobter und bekannter Quellen, dem Betrachter statt der belastenden
Schwierigkeiten des Begreifens etwas Neuen und Ungewöhnlichen die leichte
Freude des Erkennens des längst und gut Bekannten anbietend.
Es gibt für den Betrachter aber auch nicht so bequeme Künstler. Diese
Künstler streben, die Fallen der Sekundarität vermeidend und auf ausgeklügelte
Formen der liebesdienerischen Lehnprägungen verzichtend, hartnäckig zu den
Positionen der Unabhängigkeit ihres schöpferischen Ausdrucks, zu ihrer
vollwertigen Autorenschaft.
Die unbequemen Künstler testen den Betrachter anspruchsvoll und
kompromislos, wobei sie ihm anbieten, selbst zu überlegen, klar zu kommen und
sich tu entscheiden, wem er begegnet ist und womit er es zu tun hat: mit einer
geschickt bemalten Oberfläche oder echter Malerei, mit einer dünnen Schicht Blattgold oder mit hochkarätigem
Massivgold.
Nikolaj Taidakov gehört zu den ehrlichen und deswegen für die
Betrachter nicht so sehr bequemen Künstlern.
Als der Künstler sein Zyklus «Der Weg zum Tempel» schuf, passte der
Künstler diese Metapher nicht an irgendwelche üblichen Sujet- oder
Gegenstandsverknüpfungen an, und noch weniger benutzte er fremde inhaltliche
bzw. technische Muster. Nicht weniger als 15 Jahre suchte der Meister nach
seiner einmaligen künstlerischen Manier, und sein «Weg zum Tempel» erwies sich
als plastisches Erfassen der Begriffe des vollgewichtigen aktorialen Schaffens
und der schöpferischen Suche.
Das Suchen nach Wegen und die Wege des Suchens sind die paradoxe
inhaltliche Gestalt des Zyklus.
Paradox, weil der Künstler auf den gewundenen Wegen der begeisterten
Suche der harten Gradlinigkeit seiner künstlerischen Prinzipien folgte.
Paradox, weil der Künstler bei absoluter Freiheit der Wahl von
Ausdrucksmitteln und -formen den strengen Begrenzungen folgte, die durch die
hohe schöpferische Disziplin und die hervorragende Ausbildung vorgeschrieben
wurden.
Paradox, weil sich die Vektoren der unerschütterlichen moralischen
Vorstellungen über die Kunst und ihre tausendjährige Philosophie im Schaffen
Nikolaj Taidakovs immer wieder mit den Versuchen des Künstlers überschneiden,
seine eigene Philosophie der schöpferischen Freiheit zu schaffen.
So bekam das im grunde genommen nicht sehr originelle und neue
Metapher-Bild «der Weg zum Tempel» in den Arbeiten Nikolaj Taidakovs eine unerwartete originelle
Deutung. Der Bewegungsprozess selbst, der Weg selbst, in dessen Richtung sich
der Künstler bewegte, erwies sich als dieser Tempel. Gerade das Schaffen als
Prozess ist der Tempel, welcher vom Künstler aufgebaut wird. Das ist der
Hauptgedanke des Zyklus...
Die künstlerische Sekundarität, das erfolgreiche schöpferische
Arrangement fremder Autoren-schaft kann manchmal das ausgabeutete Material
übertreffen. Aber in einem Remake bzw. in einer Nachahmung wird es nie die
Esoterik des Originals geben, es wird keine Energetik und keine Willensemission
geben, die dem Autorenoriginal eigen sind.
Die Leinwände Nikolaj Taidakovs besitzen eine tadellose
Autorenkomplizität, eine künstlerische Originalität und als Folge die wertvolle
Eigenschaft der absoluten Erkennbarkeit. Sie besitzen eine bewunderswerte
Eigenschaft, über welche eine glückliche Besitzerin von Arbeiten Nikolaj Taidakovs bemerkte, daß der
ausdrucksvolle Inhaltsreichtum und die Stimmung der Leinwände Nikolaj Taidakovs fähig sind, sich
buchstäblich physisch in Zeit und Raum der Zuschauerlaunen, -bewertungen und
-empfindungen zu ändern.
Auf diese Weise geht das Leben der Werke des Meisters weiter, und den
«Weg zum Tempel» geht, zusammen mit dem Künstler, auch der Betrachter, dem der
Künstler das Schicksal seiner Schöpfungen anvertraut .
Arkadij Klenov
Kunsthistoriker,
2006 München